Beschreibung
Hitler dachte und handelte nach der Parole „Man muss unbedingt modern sein“. Neuerungen, die sich erst in der Nachkriegszeit durchgesetzt haben, wurden von ihm in die Wege geleitet oder nachdrücklich gefördert: Autobahnen etwa, auf denen wir noch heute fahren, und Automobile, die sich jeder sollte leisten können („Volkswagen“). Er hat aber auch verstanden, dass Adel und Bürgerklasse weltgeschichtlich nicht mehr zählen und der Masse die Zukunft gehört. Wer sie zu steuern weiß, gewinnt die Macht. Die Segnungen des Fortschritts wollte er auf das ganze Volk ausdehnen: geregelte Arbeitszeit, Urlaub und Kultur für alle, Radio und Fernsehen für jedes Haus. Mit seinen inszenierten Auftritten ist er der Erfinder der Eventkultur, mit den öffentlichen Fernsehstuben auch des Public Viewings. Er war für Chancengleichheit und förderte die Fähigsten, nicht die Begütertsten.
Von diesem Modernisierungsprogramm schließt Hitler zwei Bereiche aufs strengste aus: das „granitene Fundament“ seiner aus „Vernunft“ geborenen Weltanschauung und die gegenständlich-klassizistisch ausgerichtete Kunst und Architektur. Nach dem Zurückweichen von Christentum und Idealismus sind sie für ihn, neben einer ästhetisch-pantheistisch verstandenen Natur, Quellen der Sinnstiftung. Insofern aber dieses weltanschauliche Zentrum von Führer und Partei selbst installiert und überwacht wird, unterliegt auch es der spezifisch modernen Planung und Machbarkeitsvorstellung: Die Moderne integriert und dirigiert das Nichtmoderne und wird damit zur Hyper-Moderne.
Die vorliegende philosophische Abhandlung systematisiert und erörtert Hitlers Weltanschauung und Politik und sucht Antworten auf Fragen, die auch unsere heutige Zeit betreffen: Wie tief wurzelt Hitlers Weltanschauung in der europäischen Moderne, der abendländischen Tradition insgesamt? Wie aktuell ist Hitlers Modernismus? Haben wir ihn überhaupt schon verlassen? Hat unsere Zeit nicht nur seine Autobahnen und sein Käfer-Design übernommen, sein Bildungs- und Urlaubsprogramm, sondern auch etwas von seinem totalitär-inhumanen Gestus? Die Optimierung des Menschen vielleicht, einhergehend mit der Konzentrierung Alter, Gebrechlicher und Sterbender in Reservaten? Die Aussonderung „unkorrekter“ Kunst, die ideologische Manipulation der Sprache, die Reinigung der Tradition? Ist „Euthanasie“, ist Selektion heute tabu, die Erziehung und Gleichschaltung Andersdenkender vom Tisch? Findet sich in unsymmetrischen Handelsbedingungen und akzeptierten Abtreibungen nicht auch noch die Distinktionsmacht über Mensch und Untermensch, über lebenswert und unlebenswert?