Beschreibung
Der ehemalige Zwickauer Dompfarrer Edmund Käbisch berichtet von seinen Bemühungen, die Vergangenheit von Drittem Reich und SED-Diktatur aufzuarbeiten. Dass sich Stasi-IM der Vergangenheitsaufarbeitung mit juristischen Mitteln zu erwehren versuchen, darf man erwarten; erschreckend ist aber, welche Hürden Käbisch im Umfeld der evangelischen Kirche in Sachsen seit 20 Jahren in den Weg gestellt werden.
In der DDR kümmerte sich Käbisch intensiv um sog. Problembürger, aus der Überzeugung heraus, dass die Kirche auch für die Menschen offen sein müsse, die nicht den offiziellen Verhaltens- und Denkmustern entsprachen. So stellte er auch das vermeintlich gute Staat-Kirche-Verhältnis in Frage und geriet schnell ins Visier der Stasi, die ihn intensiv bearbeitete. Doch auch in der Kirchenleitung, die unter schwierigen Bedingungen agieren musste, stieß seine Tätigkeit auf Kritik. Wiederholt musste er erleben, wie er für sein Engagement mit den Mitteln des Kirchenrechts diszipliniert werden sollte.
Als Käbisch 1992 Einblick in seine umfangreiche Stasiakte nehmen konnte, bemühte er sich um Aussprache und Aussöhnung mit denen, die willentlich oder unwissentlich die menschenverachtenden Zersetzungsmethoden der Stasi gegen ihn und andere angewandt hatten. Doch gerade in der Kirchenleitung gab es kaum Bereitschaft zum Gespräch und zum Überdenken der Maßnahmen, die unter dem vermutlichen Einfluss der Stasi und als Wirkung von deren Zersetzungswerk ergriffen worden waren. Stattdessen verlegte man sich auf die Psychiatrisierung und versetzte Käbisch schließlich mit 55 Jahren in den Ruhestand.
Seine Bestandsaufnahme schließt Käbisch mit einer Alternative zum Schweigen über die Vergangenheit. Als Religionslehrer im entkirchlichten Westsachsen setzte er ein religionspädagogisches Konzept um, das neben Sachwissen auch Handlungskompetenz und Urteilsvermögen auf Basis des christlichen Glaubens anstrebt. Entstanden sind dabei zahlreiche Wanderausstellungen, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre Erkenntnisse einer breiten Öffentlichkeit vorstellten. Zwei beispielhafte, fächerübergreifend realisierbare Unterrichtseinheiten laden Lehrkräfte aller Schulformen und vieler Fächer dazu ein, mit ihren Schülern ebenfalls die jüngere deutsche Geschichte aufzuarbeiten.
Autorenportrait
Dr. Edmund Käbisch, Pfarrer i. R., wirkte von 1981 bis 1999 am Dom St. Marien zu Zwickau und bis 2007
als Religionslehrer an verschiedenen Gymnasien der Zwickauer Region.
Käbisch ist ein durch zahlreiche Aufsätze, Vorträge und Bücher bekannter und ausgewiesener Experte für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit im Raum der evangelischen Kirche in Sachsen. 2010 erstritt er in einem aufsehenerregenden Prozess das Recht zur Nennung von Klarnamen von Stasi-IMs.
Inhalt
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.7
Teil 1 – Zumutbare Wahrheiten. 9
Einleitung. 10
1. Die Jahre bis zur Friedlichen Revolution. 12
1.1 Die operative Psychologie der Stasi. 12
1.2 Einsatz für Problembürger und situativ-missionarische Verkündigung 13
1.3 Die Reaktion von SED und Stasi:
Pfarrer mit Mitteln des Kirchenrechts disziplinieren. 13
1.4 Der Kirchenvorstand wird mit einem Operativen Vorgang bearbeitet.15
1.5 Das Zwickauer Modell als neue Form der Kirchenbeeinflussung. 16
1.6 Gemeinsames Interesse von Staat und Kirche an einer Versetzung. 17
1.7 Zusammenfassung.19
2. Versuche einer Vergangenheitsaufarbeitung
bis zum vorzeitigen Ruhestand im Jahr 1999. 21
2.1 Die Missbilligung bleibt bestehen. 21
2.2 Die erste Ärarsitzung nach der Friedlichen Revolution 1990. 21
2.3 Folgen der Akteneinsicht.23
2.4 Alleingelassen mit der Bewertung des OV „Kammer“.24
2.5 Das Vertrauen in die oberste Dienstbehörde
ist nach der Akteneinsicht gestört. 26
2.6 DDR-Forschung als Dienstpflichtverletzung. 27
2.7 Konspiratives Vorgehen der Landeskirche.29
2.8 Beschwerde des Lutherkirchenvorstandes bei der BStU
über die Herausgabe von Dokumenten. 29
2.9 Abgestimmtes Vorgehen und Beschwerdebriefe an Joachim Gauck. 31
2.10 Landeskirche dementiert
Behinderung der Vergangenheitsaufarbeitung. 31
2.11 Einstellung der Ermittlungsverfahren. 32
2.12 Desinteresse der Kirchenleitung an der
unabhängigen Arbeitsgruppe „Vergangenheitsaufarbeitung“. 33
2.13 Desinteresse an den Ergebnissen freier Forschung
und unabhängiger Lehre. 35
2.14 Eine Synode mit weitreichenden Folgen.40
2.15 Psychiatrisierung als Form von Mobbing. 42
2.16 „Konfliktlösung“ durch Versetzung in den Ruhestand. 43
2.17 Predigtverbot als Mittel der Demütigung. 45
3. Die Versetzung in den Ruhestand schenkt Zeit für die Aufarbeitung. 49
3.1 Vergangenheitsaufarbeitung in Schülerausstellungen. 49
3.2 Für die Landeskirche ist die Bibelausstellung wahrheitswidrig. 50
3.3 Mangelhafte kirchliche Aufarbeitung
der Selbstverbrennung des Pfarrers Rolf Günther. 52
4. Juristische Auseinandersetzungen. 55
4.1 Einstweilige Verfügung wegen der Nennung eines IM-Klarnamens. 55
4.2 Negative Feststellungsklage. 58
5. Anliegen und Perspektiven der Vergangenheitsaufarbeitung.61
5.1 Den Opfern eine Stimme geben. 61
5.2. Genehmigte Forschungsanträge und BStU-Erfahrungen. 62
5.3 Bedauerliches „Schweigen“ kirchlicher Zeitzeugen. 63
5.4 Aufarbeitung für die Öffentlichkeit. 64
5.5 Landeskirche behindert Jubiläumsausstellung. 67
6. Fazit.69
Teil 2 – Bedeutung und Aktualität des Religionsunterrichts. 71
1. Chancen kirchlicher Bildungsarbeit in der Schule. 72
1.1 Vorüberlegungen. 72
1.2 Zeitgeschichtlicher Kontext. 73
1.3 Religiöse Sprachlosigkeit und die Aufgabe religiöser Bildung. 76
1.4 Vom Glaubenskurs zum Religionsunterricht. 79
1.5 Besondere Lernleistung. 84
1.6 Projekt „Christliches Handeln in der DDR“. 86
2. Projekte zur vergessenen NS-Geschichte. 91
2.1 Juden aus Reichenbach. 91
2.2 Vergessene Opfer der Zwangssterilisation und Euthanasie. 92
2.3 Religionsunterricht strahlte aus. 97
2.4 Ausblick. 99
Teil 3 – Zwei Beispiele fächerübergreifender Unterrichtseinheiten. 100
Einführung. 101
1. Unterrichtseinheit: Zwangssterilisation und Euthanasie
während des Nationalsozialismus. 102
2. Unterrichtseinheit: Denken, Handeln und Fühlen eines IM. 109
Personenindex. 124