Beschreibung
Gibt es globale ethische Normen? Hans Küngs Projekt Weltethos diagnostiziert sie in den großen Weltreligionen. Kann man sie aus aufgeklarter Perspektive teilen? Im modernen demokratischen Rechtsstaat hat die Ethik längst nicht mehr den Sinn, die Menschen der Gemeinschaft unterzuordnen. Die Zeitgenossen bedienen sich vielmehr der Ethik, um ihre eigene Lebensform zu entwickeln. Damit entsteht eine globale Gemeinsamkeit zwischen den Menschen, nicht zwischen ihren Gemeinschaften. Aus emanzipatorischer Perspektive entspringt daraus die Globalität gemeinsamer oberster Normen. Derart verkörpert die Idee des Weltethos eine Wende der Ethik im 20. Jahrhundert, wie sie sich ansonsten bei John Dewey, Emmanuel Levinas, Hannah Arendt und John Rawls anzeigt. Noch schwieriger aber wird die Anwendung anerkannter oberster Normen. Welche Tugenden und Kompetenzen hatte der ostpreußische Lokomotivführer gebraucht, der einen Zug voller Juden nach Auschwitz fuhr, um zu begreifen, dass er sich aktiv am Massenmord beteiligt? Angesichts der veränderten Lebensumstande in der Moderne lassen sie sich nicht mehr auf die traditionellen Kardinaltugenden beschränken. Vielmehr gehören heute dazu u.a. Einbildungskraft, Neugier, Leidenschaft, Kreativität, Gelassenheit, Abenteurertum, Verantwortung und Freundschaft.
Autorenportrait
Hans-Martin Schönherr-Mann ist Essayist, Professor für Politische Philosophie an der Universität München, Gastprofessor für Wissenschaftstheorie an der Universität Innsbruck.