Beschreibung
„«Die Polis ist ein höheres Naturprodukt; entstanden ist sie, damit Leben möglich sei, sie existiert aber weiter, damit richtig, glücklich, edel, möglichst nach der Trefflichkeit gelebt werde.»
So fasst Jacob Burckhardt in seiner «Griechischen Kulturgeschichte» jenes einzigartige Gebilde zusammen, das die Mutter aller Verfassungen wurde, die wir «europäisch» nennen. Und zwar der Verfassungen im mehrfachen Sinn des Wortes. Er trifft ebenso die Grundregeln für das organisierte Zusammenleben wie die subjektiven Lagen der Verfassten, ja den Kern ihres Selbstverständnisses als Individuen. […]
«Stadtluft macht frei»; denn wenn Städte anfangs gegründet wurden, um das Notwendige zu besorgen, so existieren sie – im Sinn Burkhardts – nur fort, um daraus einen immateriellen Mehrwert zu schöpfen, um ihren Bürgern den Gedanken erschwinglich zu machen, nicht für das Notwendige zu leben, sondern aus dem Überfluss. Das Europa, das wir meinen, hat mit der Gründung der Poleis angefangen, und es ist selbst eine Gründung der Polis. Was Europäer meinen, wenn sie von Politik, wenn sie von Kultur, aber auch wenn sie von Natur, von Seele, von Innerlichkeit, von Privatleben, von Arbeit und Muße reden, setzt, bewusst oder nicht, die Verfassung der Polis voraus.“
Autorenportrait
Adolf Muschg, geb. 1934 in Zürich, studierte Germanistik, Anglistik und Psychologie in Zürich und Cambridge. Er wurde 1959 an der Universität Zürich promoviert. Er war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1999 Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Eidgenössischen TH in Zürich.