Beschreibung
Obwohl Protokolle als Quellen in der Forschung eine enorme Rolle spielen, wurde der
Protokoll mit ihren spezifischen Merkmalen und Funktionen bisher von den Literatur- und Kulturwissenschaften kaum nennenswerte Aufmerksamkeit entgegengebracht. Dabei ist die Herstellung von Protokollen eine für viele Institutionen grundlegende und unverzichtbare Kulturtechnik. Ihre wesentliche Funktion besteht darin, nach festgelegten Kriterien ausgewählte Ereignisse in eine schriftliche und verbindliche Form zu überführen: Was im Protokoll steht, steht fest. Damit dies gilt, müssen Protokolle jedoch je nach Einsatzbereich und Zweck höchst unterschiedlichen formalen und funktionalen Anforderungen genügen. Für ihre Herstellung gelten ebenso strenge Regeln wie für die Verarbeitungs- und Verwaltungsprozeduren, bei denen Institutionen auf Protokolle zurückgreifen. Die hier versammelten Aufsätze beschäftigen sich mit Protokollen in unterschiedlichen institutionellen Kontexten – in der staatlichen Verwaltung, im Justizwesen, in der Universität, in der Wissenschaft und nicht zuletzt in der Literatur. Systematische und historische Perspektiven miteinander verbindend analysieren sie Felder, in denen die Vielfalt kultureller Funktionen des Protokolls exemplarisch erkennbar wird.
Autorenportrait
Die Herausgeber: Michael Niehaus habilitierte an der Universität Essen im Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft. Er arbeitet derzeit in einem Forschungsprojekt an der Universität Bochum zur Geständnismotivierung von 1800 bis zur Gegenwart. Er ist Autor und Herausgeber diverser Buchveröffentlichungen
– u.a.
(1998) – und Aufsätze, u.a. zur Erzählliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts und zum Verhältnis von Literatur und Rechtsdiskurs.
Hans-Walter Schmidt-Hannisa habilitierte im Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Bayreuth mit einer Arbeit über Traumaufzeichnungen und Traumtheorien im 18. und 19. Jahrhundert. Seit 2002 ist er Senior Lecturer am German Department des University College Cork (Irland). Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen gehören u.a.
(1998),
(2001) und
(2003). Er ist zudem Autor diverser Aufsätze zur deutschen Literatur der Goethezeit und des 20. Jahrhunderts, zur Literatur- und Kulturgeschichte des Traums sowie zur Geschichte und Theorie des Lesens.
Inhalt
Aus dem Inhalt: Michael Niehaus/Hans-Walter Schmidt-Hannisa: Textsorte Protokoll. Ein Aufriß – Michael Niehaus: Wort für Wort. Zu Geschichte und Logik des Verhörprotokolls – Peter Becker: «Recht schreiben» - Disziplin, Sprachbeherrschung und Vernunft. Zur Kunst des Protokollierens im 18. und 19. Jahrhundert – Richard Nate: «True and Full Accounts»: Experimentberichte im Kontext der frühen
– Peter Risthaus: «Sag deinen Satz.» Der Protokollsatz und die
– Sylvia Kesper-Biermann: Das Protokoll als Objekt politischer Auseinandersetzungen. Schulvisitationsberichte im 19. Jahrhundert am Beispiel des Kurfürstentums Hessen – Hans-Walter Schmidt-Hannisa: Zwischen Wissenschaft und Literatur. Zur Genealogie des Traumprotokolls – Rolf Parr: Das Protokoll als literarische Kunstform. Zur Konvergenz von künstlerischer und juridischer Selbstvergewisserung in literarisch-kulturellen Vereinen des 19. Jahrhunderts – Hubert Thüring: «Wie sollte man diesen Rapport schreiben?» Metonymien des Protokolls bei Friedrich Glauser – Gert Hofmann: Protokoll der Schrecksekunde. Hermann Kasacks
– Reinhard Andress: Protokoll-Literatur in der DDR – Michael Niehaus: Protokollarisches Endspiel der Literatur – Walter Gebhard: Für eine Kultur des Protokolls. Zur didaktischen Bedeutung einer wenig geliebten Textsorte.