Beschreibung
Einer der wenigen deutschen Aufklärer, der schon in den späten achtziger Jahren von einer deutschen Republik zu träumen begann, statt sich mit der liberalen Vorstellung einer konstitutionellen Monarchie zufrieden zu geben, war Carl Ignaz Geiger (1756-1791). Nach Jugendjahren in Ellingen bei Weißenburg an der Donau, das seit 1216 Sitz des fränkischen Zweigs des Deutschen Ordens war, scheint er bereits während seines Studiums mit den fortschrittlichen Anschauungen der französischen und englischen Aufklärung in Berührung gekommen zu sein. Geigers "Leonore von Welten" geht auf zwei berühmte Vorbilder zurück. Obwohl er dieses Werk im Untertitel als ein "teutsches Originaltrauerspiel" bezeichnete, dessen Handlung auf einer "wahren Geschichte" beruhe, die sich im Jahr 1782 tatsächlich so zugetragen habe, liegen diesem Drama eindeutig Lessings "Emilia Galotti" (1772) und Schillers "Kabale und Liebe" (1784) zugrunde. Allerdings werden die dort zur Darstellung gebrachten Motive von Geiger nachdrücklich radikalisiert. In seinem Stück verzehrt sich ein Fürst von Hohenburg voller Verlangen nach der schönen Leonore, der Tochter eines Hofbeamten, deren Mann im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf Seiten der Aufständischen gefallen sein soll. Um Ihren Widerstand zu brechen, läßt Baron Ekkof, ein typischer Intrigant, Leonores Vater wegen angeblicher Unterstützung einer Bauernrevolte ins Gefängnis werfen. Auf Zureden ihrer Mutter, einer bigotten Betschwester, tritt die gute Leonore schließlich ihren Opfergang in die Schlafkammer des Fürsten an, worauf der Vater wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Kaum nach Hause zurückgekehrt, nimmt sie Gift, um ins 'reine Reich' der Schatten niederzusteigen. Als sie in den letzten Zügen liegt, kommt plötzlich Eduard, ihr totgeglaubter Mann, zurück. Auch der Fürst, launisch und wankelmütig wie alle Tyrannen, erscheint, um sie reumütig um Vergebung zu bitten. Angesichts dieser Szene greift Eduard zum Degen, aber nicht um sich selbst, wie in bisherigen bürgerlichen Trauerspielen, sondern um den Fürsten umzubringen. (Jost Hermand, aus dem Nachwort)