Beschreibung
Die Rezeptionsgeschichte der Dodekaphonie in Italien findet ihren Anfang in der ersten Italientournee Schönbergs mit seinem Pierrot lunaire vom Jahr 1924, die von Casella kurz nach der Machtergreifung Mussolinis als erster Schritt zur Modernisierung der italienischen Musik organisiert wurde. Dort komponierte Dallapiccola noch unter dem Faschismus eine Serie von drei Stücken für Chor und Instrumente und nannte sie Canti di prigionia. Sie galt als das erste italienische dodekaphonische Werk überhaupt und wurde 1941 in Rom uraufgeführt. Erst im Jahr 1953 schilderte er die Geburtsstunde seiner Canti di prigionia und bezeichnete sie neben Milhauds La mort d'un tyran und Schönbergs Ode to Napoleon Buonaparte zum ersten Mal als eines der Schlüsselwerke der 'Protest music'. Seitdem sind diese Gesänge als politisches Proteststück gegen den Faschismus und seine Rassengesetze von 1938 interpretiert. War der Faschismus ein politisches System, das seine Opposition duldete? War möglicherweise in den Canti di prigionia ein kulturpolitisches Potenzial zugunsten des italienischen Faschismus vorhanden? Warum zählte Dallapiccola gerade im Jahr 1953 seine Canti zum ersten Mal zu den Schlüsselwerken der 'Protest music'? Gibt es außerhalb des Faschismus und seiner Rassengesetze keine anderen historischen Kontexte, die wir mehr berücksichtigen müssten? Dieses Buch befasst sich mit all diesen Fragen und präsentiert ein überraschendes Ergebnis, das völlig anders erscheint, als in der Musikgeschichtsschreibung bisher angenommen.