Beschreibung
Vor der Abfahrt des Zuges lächelte Frau Barinianu auf dem Bahnhof Bukarest. Ihr Mann der Oberst, neben ihr promenierend, schob einen Zeitungsausrufer beiseite, blähte die Nase, straffte seinen Uniformrock, indem er seinem kolossalen Brustkasten einen scharfen Ruck gab: "Liebe Cesarine, ich weiß, daß du von einer Last befreit bist, aber wir sind auf dem Hauptbahnhof und du gehst in Trauer. Es brauchen nicht alle Leute sehen, daß dir mein seliger Vater nichts bedeutet hat." Sie nahm sich kaum zusammen; mit heiter verwirrtem Ausdruck hauchte sie hinter ihrem schwarzen Schleier: "Verzeih, ich geh heute zum ersten Male ein paar Schritt." Er zog ein Portefeuille mit braunen Banknoten aus der Brusttasche. Als die Maschine pfiff, rief er ins Coupéfenster hinauf, sie solle gleich ein paar Aussteuersachen für Matilda in Dresden besorgen. Die Wagen rollten. Der Oberst klappte etwas zusammen. Sie winkte und nickte. Er, träumerisch mit dem Säbelknauf spielend, fuhr in der Kalesche ins Kasino zum Festdiner. Frau Barinianu saß in dem schmetternden Zug auf dem roten Polster der ersten Klasse. Das Coupé leer. Runde Backen hatte sie und sehr kleine Füße in grauen Gamaschen. Der Hut neben ihr rutschte vom Sitz; sie beugte sich zur Seite, um ihn festzuhalten. Sich aufrichtend sah sie im Rundspiegel drüben, daß das Haar ihr über die Stirn gesunken war und vor der koketten Nase wehte, ebenholzschwarz und ohne einen einzigen grauen Faden. Dunkler Flaum auf der Oberlippe. Das Gesicht gerötet und weiß und so kindlich lebendig, daß sie sich freudig zurücklehnte, den Hut hinuntergleiten ließ und die metallstrahlenden Augen schloß. Den Gang kamen dauernd Menschen herauf, Kinder sprangen vorbei, der Kellner warf eine Speisekarte herein. Sie gähnte und zog sich die langen Lederhandschuhe ab.
Autorenportrait
Bruno Alfred Döblin (* 10. August 1878 in Stettin; gestorben 26. Juni 1957 in Emmendingen) war ein deutscher Psychiater und Schriftsteller. Sein episches Werk umfasst mehrere Romane, Novellen und Erzählungen, daneben verfasste er unter dem Pseudonym Linke Poot satirische Essays und Polemiken. Als führender Expressionist und Wegbereiter der literarischen Moderne in Deutschland integrierte Döblin früh das Hörspiel und Drehbuch in seinem Werk. 1920 veröffentlichte er den historischen Roman Wallenstein. Darüber hinaus setzte Döblin als avantgardistischer Romantheoretiker mit den Schriften An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm, Bemerkungen zum Roman und Der Bau des epischen Werks zahlreiche Impulse in der erzählenden Prosa frei.[1] Sein weitaus am stärksten rezipierter Roman ist Berlin Alexanderplatz.