Beschreibung
Was passiert, wenn ein an Gogol, Dostojewski und Tschechow geschulter russischer Erzähler, ein Freund Maxim Gorkis, mit der Kriegswirklichkeit im zaristischen Petersburg 1914 bis 1916 kollidiert? Fast zwangsläufig entsteht große Literatur. So geschehen bei einem der besten pazifistischen Bücher zum 1. Weltkrieg, Leonid Andrejews Das Joch des Krieges.
Autorenportrait
Geboren wird Leonid Nikolajewitsch Andrejew am 21. (nach russischer Zählung: 9.) August 1871 in Orjol, einer ca. 350 km südwestlich von Moskau liegenden Stadt, in der auch Nikolai Leskow vierzig Jahre zuvor das Licht der Welt erblickt hatte. Der Sohn eines aus der Oberschicht kommenden, im Regierungsdienst tätigen Landinspektors und einer aus Polen stammenden Adligen absolviert das dortige Gymnasium und studiert zwischen 1891 bis 1897 in St. Petersburg und Moskau Jurisprudenz. Im Zeitraum der nächsten fünf Jahre arbeitet Andrejew als Rechtsanwalt in Moskau, nicht zuletzt, um nach dem Tod des Vaters seine vier Geschwister sowie seine Mutter am Leben zu erhalten. Gerichtsreportagen für die Moskowski Vestnik und erste Erzählungen entstehen zu dieser Zeit, sein Freund Maxim Gorki führt ihn in die Moskauer Literaten- und Intellektuellenzirkel ein. 1901 wird schließlich sein erstes Buch, im Jahr darauf die berühmte, von Leo Tolstoi befehdete Erzählung Der Abgrund (Bezdna) veröffentlicht. In ihr bewältigte Andrejew einen früheren Suizidversuch nach unglücklicher Liebe. 1904, also während des russisch-japanischen Kriegs, folgt die Veröffentlichung eines seiner Hauptwerke, des pazifistischen Romans Das rote Lachen (Krasnyj smech): Kaum jemand habe eine 'schärfere und glänzendere Waffe' für den Frieden geschmiedet als Leonid Andrejew, schreibt verzückt (und ganz unpazifistisch) Bertha von Suttner im Geleitwort zur deutschen Ausgabe 1905. Zu diesem Zeitpunkt sitzt der Dichter jedoch schon in einem der Moskauer Gefängnisse ein, nachdem er - sein Buch hatte ihn mit den Sozialrevolutionären in engen Kontakt gebracht - von der zaristischen Geheimpolizei verhaftet worden war. Wieder auf freiem Fuß flüchtet Andrejew noch im gleichen Jahr aus Russland, u.a. findet er bei Maxim Gorki auf der Insel Capri Asyl. Auch in Berlin und Wien ist er bei Lesungen und der Aufführung seiner Schauspiele ein nicht selten gesehener Gast. Wenngleich seine besten Theaterstücke wie Anatema (Anathema) oder König Hunger (Car' golod) von der zaristischen Zensur verboten werden: In Moskau und Petersburg werden zahlreiche seiner Werke gegeben, keine geringeren als W. Nemirowich-Dantschenko oder W.E. Meyerhold inszenieren sie. Gemeinsam mit den Romanen und Erzählungen (u.a. Die Geschichte von den sieben Gehenkten/Rasskaz o semi povesennych) begründen die Theaterstücke den kurzlebigen Ruhm und bescheidenen Reichtum Andrejews. Wenige Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges errichtet sich der Dichter in der russischen Künstlerkolonie Kuokalla (heute Repnin), eine Tagesreise nordwestlich von St. Petersburg entfernt, ein großzügiges Domizil. Er verkehrt jetzt im Literatenkreis um Kornei Iwanowitsch Tschukowski, die Schriftsteller Iwan Bunin, Wladimir Korolenko und Alexander Kuprin zählen zu seinem nächsten Freundeskreis. In Kuokalla entsteht während des Ersten Weltkrieges sein zweiter pazifistischer Roman Das Joch des Krieges (Igno Voyny), der jedoch nicht in Russland, sondern in der neutralen Schweiz erstmals veröffentlicht wird.