Beschreibung
Das mit dem Westfälischen Frieden des Jahres 1648 begründete System der neuzeitlichen Staaten hatte im klassischen Völkerrecht seinen angemessenen Ausdruck erhalten. Alle Staaten waren gleichberechtigt. Als souveräne Akteure hatten sie nach innen das Monopol der rechtsförmigen Gewalt inne. Im Verhältnis zu anderen Staaten waren sie berechtigt, jederzeit vom Zustand des Friedens in den Zustand des Krieges überzuwechseln. Das im klassischen Völkerrecht grundgelegte Recht eines ius ad bellum wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der Charta der Vereinten Nationen aus dem Völkerrecht entfernt. Seither gelten im Völkerrecht das Prinzip eines die Staaten bindenden Gewaltverbots und das System der kollektiven Sicherheit. Der Prozess der Globalisierung ist durch einen andauernden Verlust von staatlicher Souveränität gekennzeichnet: nach innen durch die Abnahme staatlich-administrativer Handlungskompetenz, nach außen durch die wechselseitige Abhängigkeit der Einzelstaaten von einer Vielfalt miteinander verbundener Faktoren. Angesichts der gleichzeitigen Abhängigkeit aller Akteure von Ereignissen, die sich geographisch betrachtet weit entfernt von den Grenzen der Staatsterritorien abspielen, ist der Prozess der Globalisierung mit einer dramatischen Destabilisierung des Konzepts der überlieferten Staatenwelt verbunden. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung diskutieren die Beiträge dieses Bandes die neue Situation von Krieg und Frieden in einer sich globalisierenden Welt: Staaten können, wenn überhaupt, die Gefahr von Kriegen nur durch Systeme überstaatlicher Zusammenarbeit abwehren; neue Akteure, die das Völkerrecht bisher als Kriegsparteien nicht kannte, treten auf und können mit Gewaltandrohung und Gewaltanwendung das System der internationalen Staatenwelt jederzeit in eine tiefe Krise stürzen. Angesichts dieser Entwicklungen wird der Ruf nach einem starken Völkerrecht laut, das durch die Vereinten Nationen exekutiert werden soll. Zugleich aber erlauben die engen Grenzen der Zuständigkeit und die Entscheidungsmechanismen der Vereinten Nationen es vielfach nicht, wirksam kriegerische Entwicklungen zu begrenzen. Schließlich treffen, bedingt durch Migration und Mobilität, unvermittelt Träger unterschiedlicher Wert- und Kultursysteme aufeinander, die zur Verschärfung von sozialen und ökonomischen Spannungen beitragen können. Welche Folgen sich aus diesen Entwicklungen für die Fragen nach Krieg und Frieden ergeben, wird in diesem Band aus der Perspektive der Politischen Philosophie internationaler Beziehungen analysiert und diskutiert.
Autorenportrait
Matthias Lutz-Bachmann ist Professor für Philosophie an der Universität Frankfurt am Main. Andreas Niederberger ist Professor am Institut für Philosophie der Universität Duisburg-Essen.
Inhalt
Herfried Münkler
Kriegsszenarien des 21. Jahrhunderts
Lothar Brock
Demokratischer Friede – Republikanischer Krieg. Das Verhalten von
Demokratien gegenüber Nicht-Demokratien in Krisen- und Konfliktsituationen
Hauke Brunkhorst
Gerechter Krieg oder demokratische Konstitutionalisierung
internationaler Regime?
Klaus Dicke
Kollektive Sicherheit in der Krise? Möglichkeiten und Grenzen
der Friedenssicherung durch Recht und Politik
Norbert Lohfink
Glaube und Gewaltanwendung. Nach den Gründungsdokumenten
von Judentum, Christentum, Islam
Otfried Höffe
Grundlagen der globalen Koexistenz. Westliche oder universale Werte?
Matthias Lutz-Bachmann
Die Androhung und der präventive Einsatz militärischer Gewalt.
Herausforderungen für das Internationale Öffentliche Recht
Andreas Niederberger
Völkerrecht und internationale Politik zwischen Widersprüchlichkeit
und notwendiger Ambiguität. Philosophische Überlegungen zur Rolle
von Recht und Dekonstruktion in den internationalen Beziehungen