Beschreibung
Laien, Dilettanten, Hochstapler,
Buffos, Sophisten, Orvietanhändler,
Kinder, Vogelfreie, Wilde, Analytiker?
Die Psychoanalyse hat sich sicherlich stets mehr auf Unsicherheit und zumindest anfängliche Unbe-
stimmtheit eingelassen, als in vermeintlichen oder tatsächlichen Konstrukten der Gewähr, Garantie
oder vorgefertigten Gewissheit ihr Heil zu suchen, das mit Sicherheit ihr Ende bedeutet hätte.
Die Gestalten, Verkörperungen sowie institutionellen Ausprägungen einer solchen – wahrscheinlich
außermoralischen – Ethik der Ungewissheit, die zudem noch unsicher ist darüber, ob die Negation
von Sicherheit die ihr angemessene Figur sein kann, FRÖHLICHE WISSENSCHAFT reichen von den »Laienanalytikern«, deren Status Freud gegen den Widerstand der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung vergeblich forderte, bis zu den »escroqueries« – »Betrügereien« –, die Lacan als nichtwegzudenkenden Anteil der analytischen Praxis zu bedenken gab. Die Reihe dieser Verkörperungen ist aber unabgeschlossen und prinzipiell unabschließbar. Auch lädt sie dazu ein, über die Analyse hinauszugreifen und sich ihren zahllosen Figuren in Kunst oder Wissenschaft, im Alltag oder als Ausnahmeerscheinung zuzuwenden. »Irgend etwas ausbündig Schlimmes und Boshaftes kündigt sich an: incipit parodia, es ist kein Zwei- fel...« Mit Fröhliche Wissenschaft hat Nietzsche seinem eigenen Ringen um eine Sprechweise, die zweifellos zweifelnd ist, einen Titel gegeben, der auf das gay saber der okzitanischen Troubadoure zurückgriff. Mit der parodistischen Konstellation von Bosheit, Eros, Poesie und ungewissem Wissen zeichnen sich für Nietzsche zudem die Konturen eines Leiblichen ab, das den »Frühgeburten einer unbewiesenen Zukunft« eigen wäre. Im »Schlimmen und Boshaften« mag man die »rohe Grausamkeit« – cruauté – des Psychischen erahnen, der sich »ohne Alibi« zuzuwenden, nach einer Forderung Derridas, Aufgabe der Psychoanalyse sein kann.
Ohne mit dem Titel Fröhliche Wissenschaft – den seither Autorinnen und Autoren wie Bataille, Deleuze, Foucault und Kofman in ihren Arbeiten bejaht haben – eine wilde Mannigfaltigkeit klammern zu wollen, haben wir dazu eingeladen, unter ihm die Figuren und Instanzen zu denken, die sich der genannten Konstellation zuwenden, sie in aktuellen Fragen von »Professionalität« oder Institution, in Theorie und Praxis einführen, ihre konkreten Handgriffe, Schritte und Sprünge verfolgen, sowie ihren Tempi nachspüren. Herausgekommen ist dabei eine lose
Sammlung von Beiträgen, die immer wieder auch selbst das Prinzip der losen Reihung, des Sprung-
haften und Fragmentarischen thematisieren als eine notwendige Abweichung vom systematischen
Zug, der eben jene Wissenschaft auszeichnet, gegen die Nietzsche aufbegehrte. Erst wenn sich das
Schreiben und Denken den eigenen Abschweifungen nicht entzieht, sondern sich den Widersprüchen aussetzt, von denen es angetrieben wird, vermag es, dem fraglichen Status des Fröhlichen, der Freude, und Lust, dem Spaß oder Genießen, also auch dem Schmerz und der Quälerei, der Not und der Muße wie dem Geschlechtlichen darin und seinen Differenzen Aufmerksamkeit zu schenken und etwas von diesen affektiven Dimensionen zur Sprache zu bringen.
Wie Nietzsche in seinem Vorwort zur Fröhlichen Wissenschaft schreibt, sucht auch diese Ausgabe
des RISS aufzunehmen, was »in der Sprache des Thauwinds geschrieben« ist. Die Leserinnen und
Leser mögen darin etwas von »Übermut, Unruhe, Widerspruch, Aprilwetter« verspüren.