Beschreibung
Sehnsucht nach dem Anderswo Ich lehnte mich an die nächste Pappel und krallte die Finger in ihre Borke, schaute dem Stamm entlang hoch in die Äste, höher in den Himmel, wollte mich im Schwarm der Stare verlieren, die über uns ihre schillernden Kreise zeichneten, wollte fliegen, fliehen. So beschreibt die Ich-Erzählerin in Flucht aus dem Irisgarten ihre hilflose Reaktion auf die Beklemmung, die sich während des Besuchs einer Gartenschau zwischen ihr und ihrem Begleiter einstellt. Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen, ist in verschiedenen Variationen eingeflochten in die Lebenstextur von Menschen, auch Kindern, die sich nie ganz wohl fühlen in der eigenen Haut und nirgends, vor allem nicht im Familienkreis, heimisch sind. Insofern sind es im weitesten Sinne Geschichten von Entwurzelten; ob der Schauplatz Basel oder das Tessin, Schweden oder Süditalien ist, der Ort bietet immer nur eine scheinbar zufällige Kulisse für das Gefühl unbehaglicher Entfremdung, unter dem die Figuren ihren Alltag zu bewältigen versuchen. Flucht als blinde Sehnsucht nach dem Anderswo oder im Gegenteil aus Angst, in einer Identität erstarren zu müssen, die nicht als die eigene anerkannt wird. Was in Alexandra Lavizzaris neuem Prosaband Menschen bewegt, sich loszureissen, langsam und verstohlen oder durch einen Akt unerhörter Kühnheit, entstammt letztlich einem eingefleischten Misstrauen gegenüber der Behaglichkeit einer Routine, die sie von ihrer wahren Bestimmung ablenkt. Nicht selten brechen Elemente des Übernatürlichen die realistische Ebene auf; der Effekt erweist sich als umso überraschender und verstörender, als Stil und Komposition dieser Prosa jeglichen diffusen Abstraktheiten abschwört.
Autorenportrait
Alexandra Lavizzari Geb. 1953 in Basel, daselbst Studium der Ethnologie und Islamwissenschaft. Mutter von drei Kindern und als Diplomatengattin ständig ausser Land, von 1980-2008 u.a. in Kathmandu, Islamabad, Bangkok, Rom. Seit 2011 wohnhaft in England.