Beschreibung
Im Oktober 2011 hat das Europäische Institut für Rechtspsychologie im Zürcher Collegium Helveticum eine Arbeitstagung durchgeführt, die sich zur Aufgabe gestellt hatte, multidisziplinär das Leitbild des homo reciprocans zu überprüfen, mit dem die empirische Wirtschaftsforschung den homo oeconomicus als Erklärungsmuster des gesellschaftlichen Geschehens ersetzen will, als dem Ergebnis eines 'Dreiklanges' von Ökonomie, Psychologie und Gehirnforschung. Die hier als Tagungsband zur Diskussion gestellten Beiträge gehen dabei unterschiedlich vor. Man kann am Leitbild des homo oeconomicus festhalten und dessen reine Eigennutzenorientierung mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit verbessern. Man kann sich aber auch vom Leitbild des homo oeconomicus verabschieden und das Reziprozitätsprinzip als umfassende Erklärung der Wirklichkeit in den Vordergrund stellen. Besonders in der Rechtswissenschaft wird das Reziprozitätsprinzip als Deutungsmuster mit dem Abschied von der Imperativentheorie und mit dem Netzcharakter des Rechts in Verbindung gebracht. Die Netzwerktheorie bringt Unsicherheit und damit 'Unschärfe' in der Deutung der digitalen Umwelt mit sich. Daher ist auch von homo relationalis die Rede, der in seinem Verhalten von der Art seiner Vernetzung abhängt. In der Gesamtschau erscheint es hilfreich, den homo reciprocans durch seine Erscheinungsbilder in den einzelnen geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu unterteilen, auch wenn die Anthropologie inzwischen bei 26 verschiedenen Menschenbildern angelangt ist. Denn ein präziseres Instrumentarium von Menschenbildern wäre für die Analyse der gegenwärtig oft krisenhaften Veränderungen in Recht, Wirtschaft und Kultur mit Sicherheit von Nutzen.